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Creative Science

#1

Gefroenes Blut

in Literatur 13.01.2011 13:28
von Einsiedler

Diskussionsleiter

| 231 Beiträge


Gefrorenes Blut
Schweigend stapften die Jäger durch den verschneiten Wald. Gunder durfte nach seinem 16. Geburtstag das erste Mal dabei sein und wollte seinen Vater würdig vertreten. Sein Vater war einer der mutigsten Jäger des Stammes, doch seit ihn ein Bär angegriffen hatte, konnte er das linke Bein nicht mehr bewegen. Für die Jagd und den Kampf taugte er nicht mehr. Oft saß er wütend vor der Feuerstelle in der Familienhöhle und schaute dem wilden Feuer zu. Dabei sehnte er sich danach so wild und ungestüm wie die Flammen zu sein. Nun setzte er alle Hoffnung in seinen Sohn. Beizeiten unterrichte er ihn im Bogenschießen, so dass er den Männern im Stamm fast ebenbürtig war. Alle lobten ihn als einen guten Bogenschützen. Noch mehr vertraute Gunder seinem Speer. Ihn bekam er, als er 14 wurde, von seinem Vater mit den Worten: „Halte diesen Speer in Ehren und gebrauche ihn im Kampf gegen unsere Feinde und bei der Jagd. In ihm steckt die Magie Odins, sie wird dich und die ganze Familie beschützen.“, feierlich überreicht.
Gunder kannte auch die Geschichte des Speeres, sein Vater hatte sie oft erzählt. Odin hätte ihm den Speer durch eine Walküre geschenkt. Sie kam aus den Wolken herab geritten und zeigte ihm einen besonders schlanken Baum. Diesen fällte der Vater und schnitzte tagelang den Schaft. Als der Speer fertig war begab er sich zum Dorfschmied, der ihm die Spitze schmiedete. In sie ließ er Odins Runen eingravieren, denn schließlich war es ein Geschenk Odins.
An all das dachte Gunder als sie schweigend hintereinander im Schnee liefen. Seine Gedanken gingen auch zurück zum Dorf, was er schon vermisste. Die unterschiedlich großen Behausungen und der morgendliche Trubel, den er noch nicht richtig durchschaut hatte, gaben ihm das Gefühl von Geborgenheit. Doch jetzt, draußen in der Wildnis war alles so anders. Er hätte auch gern gewusst was die Frauen den ganzen Tag zu tun hatten. Doch als er den Vater danach fragte, bekam er nur zur Antwort: „Weiberkram.“ Das schien eins von Vaters Lieblingsworten zu sein, denn er hörte es immer wieder einmal.
Ein Windstoß riss ihn aus seinen Gedanken, die sich immer noch um den Speer drehten. Er erinnerte sich, dass Vater ihn bei allen Kämpfen gegen andere Stämme und bei der Jagd immer dabei hatte. Aber als der Bär ihn angriff, war er ohne ihn losgezogen und keiner weiß wieso. Ihm würde das nicht passieren. Fest hielt er der Speer in der Hand, um ihn jederzeit gebrauchen zu können. Er blickte in den Himmel, ob Odin ihm ein Zeichen gibt? Es schneite nur und ab und zu kam ein Windhauch, der sich auch durch die Leder- und Pelzkleider des Wikingers zog. Aber es fröstelte ihn nicht, er war abgehärtet und die Kälte gewohnt.
Angeführt wurde der Jagdzug der Nordmänner von Björn einem alten breitschultrigen Mann, der schon viele Jahre der Jagd und des Krieges hinter sich hatte. Hinter ihm liefen Baldur, Giselbert, Börje und Hartwig, Gunder durfte am Ende gehen. Immer noch in seinen Gedanken an das Dorf merkte er nicht gleich, dass der Trupp angehalten hatte. Er schloss auf und als er vor Björn stand sagte dieser: „Jetzt wirst du endlich in das Kriegertum eingeweiht, Gunder!“ und klopfte ihm auf die Schulter.
„Ich werde doch nur ein Tier schießen. Was ist daran Kriegertum?“

„Eine ganze Menge! Die Jagd ist die beste Vorbereitung auf ein Kriegerdasein, man lernt Geduld, das Aufspüren der Beute, du hast endlich Kontakt zu Blut und das wichtigste: du lernst töten!“ Björns Augen funkelten bei den Worten. Gunders hingegen nicht. „Du wirst schon sehen.“
Björn grinste und Giselbert mahnte: „Nun lasst uns weiter ziehen, sonst frieren wir noch an, schließlich sind wir auf der Jagd. Ab jetzt führe ich den Trupp an.“
Allzuweit waren sie noch nicht gelaufen als Giselbert stehen blieb und die Hand hob. „Was ist los?“, fragte Baldur. Giselbert zeigte auf die Lichtung vor ihnen. Auf ihr trottete ein riesiger Braunbär auf sie zu. Zum Glück konnte er den Trupp nicht wittern, denn der Wind kam aus seiner Richtung. Die Männer nahmen Kampfstellung ein, Björn dirigierte dabei den unerfahrenen Gunder. Börjes Augen weiteten sich, vorsichtshalber legte er schon einen Pfeil auf den Bogen und spannte die Sehne leicht. Giselbert deutete ihnen mit einer Handbewegung an, dass sie einen Halbkreis bilden sollen, um so langsam auf den Bären zu zulaufen. Jeder wusste, dass Gunder den ersten Schuss hatte und alle waren sie gespannt wie er das Tier treffen würde. Ohne etwas bemerkt zu haben, schlenderte das Raubtier auf der Lichtung hin und her. Gunder spannte seinen Bogen und zielte. Kurz bevor er die Sehne vor schnellen ließ durchzuckte ihn ein Gedanke. Halten Bären nicht Winterschlaf? Zu spät, der Pfeil war unterwegs und verfehlte sein Ziel nicht.
Das getroffene Tier stieß einen markerschütternden Schrei aus. Noch nie hatten sie einen Bären so schreien gehört. Und dann stürmte er los und bevor Baldur seine Axt schleudern konnte, riss er Börje, der wenige Meter neben ihm seinen Bogen spannte und zerfetzte ihn. Als der Bär sich auf Baldur stürzte, versuchte dieser ihn mit der Axt abzuwehren. Es gelang ihm nicht, denn das Tier schlug sie ihm aus der Hand, als wäre sie ein Holzstäbchen. Dann erwischte ihn die Bärenpranke und riss ihm die Kehle auf. Giselbert und Hartwig rannten mit Speer und Schwert auf das Ungetüm zu. Dieses stieß wieder einen lauten Schrei aus, sprang Hartwig an und biss ihm in den Leib. Giselbert eilte seinem Freund zu Hilfe und stieß mit dem Speer nach dem Monster. Doch dieses parierte mit der Pranke und zerknickte den Speer. Bevor sich Giselbert gefangen hatte, schlug der Bär zu und riss ihm dabei fast den Kopf ab.
Björn und Gunder kamen so dicht wie möglich heran, um aus kurzer Distanz ihre Pfeile abzuschießen. Obwohl diese mit großer Wucht in den Körper des Bären drangen, fügten sie ihm keine tödlichen Wunden zu. Nun versuchten beide ihm mit dem Speer zuleibe zu rücken. Doch Björn erging es nicht anders als Giselbert. Der Bär wischte den Speer weg und traf ihn mit der anderen Pranke so, dass er nicht mehr auf stand.
Jetzt wurde Gunder bewusst, dass er dem Untier alleine gegenüber stand. Er erinnerte sich an seinen Gedanken vor dem ersten Schuss und fragte sich, wieso der Bär keinen Winterschlaf hielt. Ob es gar kein Bär ist, sondern ein Bärenartiges Monsterwesen? Er hatte schon gehört, dass es solche Wesen geben soll, aber nie richtig daran geglaubt. Doch zum Nachdenken war keine Zeit, er musste handeln und nutzte die kurze Verschnaufpause um seinen Speer in Stellung zu bringen. Odin wird mir helfen, seine Runen sind in die Spitze eingeritzt, dachte er und richtete sie auf den Bären. Dabei blickte er in die blutige Schnauze, die gar nicht so richtig wie eine Bärenschnauze aussah, brüllte einen Schlachtruf und stürmte vor. Mit voller Wucht rammte Gunder seinen Speer in das Monster und zog ihn blitzschnell wieder heraus. Blut spritzte aus der Wunde, das Tier schrie und stürzte sich auf Gunder. Dieser konnte nicht schnell genug ausweichen, die Bärenpranke erwischte ihn und riss eine tiefe Wunde in den linken Arm. Der Jäger ging zu Boden und der Bär sprang auf ihn zu. Gunder gelang es, den Speer in den Schnee zu rammen, so dass die Spitze dem Tier entgegen stand. Es krachte fürchterlich und dann war eine gespenstische Stille auf der Lichtung.
Als Gunder nach einer Weile zu sich kam, öffnete er seine Augen. Er fror, dass es ihn schüttelte und schwummrig war ihm auch. Um ihn herum war der Schnee von Blut rot gefärbt. Seinen linken Arm spürte er nicht mehr. Als er zu ihm hin sah, erblickte er die große Fleischwunde. Links neben ihm lag die durchbohrte Leiche eines Bären, aus der die Sperrspitze ragte. Sie war blutbeschmiert und das Blut war gefroren. Der Bär oder war es doch keiner, hatte den Kopf zur Seite gedreht. Da sah Gunder, das wahre Gesicht des Monsters, denn es war ein Riese in Bärengestalt. Dieser Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er blickte in den Himmel, dachte an Odin und schloss die Augen. Ihm war als sähe er zwei schöne Frauen auf ihren Pferden durch die Lüfte reiten. Sie schienen direkt zu ihm zu fliegen. Es wurde dunkel und das letzte, was er vernahm war die Stimme einer Frau. „Mutige Krieger allesamt, wir nehmen sie mit.“
©André Krüger/Folkmar Drechsel


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